Thursday, 19 April 2012

Die Eintagsfliegen in der Festung

"Ein Schwarm Eintagsfliegen gelangte zu einer Festung, ließ sich auf den Bastionen nieder, nahm im Handstreich den Hauptturm, besetzte den Wehrumgang und die Türme. Die feingeäderten, durchsichtigen Flügel schwirrten zwischen den steinernen Mauern.
"Vergebens bemüht ihr euch, eure filigranen Glieder zu strecken", sagte die Festung. "Nur wer zum Dauern geschaffen ist, kann behaupten, zu sein. Ich dauere, also bin ich; ihr nicht." - " Wir bewohnen den Luftraum, wir skandieren die Zeit mit dem Vibrieren unserer Flügel. Was sonst hieße denn sein?", antworteten die zarten Geschöpfe. "Eher bist du doch bloß eine Form, hingestellt zur Bezeichnung der Grenzen des Raums und der Zeit, in denen wir sind."- "Die Zeit geht über mich hin: Ich bleibe", beharrte die Festung. "Ihr streift nur die Oberfläche des Werdens wie den Wasserspiegel der Bäche."
Darauf die Fliegen: "Wir huschen durchs Leere so wie die Schrift übers weiße Papier und die Flötentöne durch die Stille. Ohne uns bleibt nur die allmächtige und allgegenwärtige Leere, die so schwer ist, daß sie die Welt erdrückt, die Leere, deren vernichtende Kraft sich mit kompakten Festungen überzieht, die massive Leere, die nur aufgelöst werden kann durch das Leichte und Schnelle und Feine." (Italo Calvino, Die Eintagsfliegen in der Festung aus Gesammelter Sand)

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